„Umbau mit Hochspannung“ – Wie ein Umspannwerk zukunftsfähig gemacht wird

23. April 2025

Moderne Industrieprozesse brauchen mehr als Strom – sie brauchen Versorgungssicherheit, Skalierbarkeit und Systeme, die mit den steigenden Anforderungen Schritt halten. Doch was bedeutet das konkret, wenn eine bestehende Infrastruktur wie ein Umspannwerk umfassend modernisiert werden muss – bei laufendem Betrieb und unter ständigem Zeitdruck?

Wir sprechen mit Thomas, Geschäftsbereichsleiter Energietechnik bei cts, über ein Projekt mit vielen Spannungsfeldern: technologisch, logistisch und gesellschaftlich.

Thomas, du begleitest gerade eine baulich und technisch umfassende Umbaumaßnahme an einem bestehenden Umspannwerk. Warum war dieser Schritt nötig?

„Die Technik war schlichtweg in die Jahre gekommen“, beginnt Thomas. „Wir sprechen hier über ein Umspannwerk mit Komponenten, die zum Teil seit über 30 Jahren in Betrieb sind – das ist in unserer Branche eine halbe Ewigkeit.“ Es gehe aber nicht nur um veraltete Technik, sondern um eine strukturelle Transformation: „Unser Ziel war es, von analoger Technik auf eine digitale Netzstruktur umzusteigen – um präziser steuern, schneller reagieren und besser vorausschauend planen zu können.“


Der Umbau sei auch eine Antwort auf geopolitische und gesellschaftliche Entwicklungen: „Energieversorgung ist heute ein strategisches Thema. Wir müssen uns unabhängiger von äußeren Einflüssen machen – und das geht nur mit einer Infrastruktur, die auf die Zukunft vorbereitet ist.“

Wie beginnt so ein Projekt eigentlich – und was ist typischerweise der erste kritische Punkt?

"Früher war der kritische Punkt die technische Umsetzung. Heute liegt die Herausforderung schon eine Stufe davor: bei der Verfügbarkeit – von Partnerfirmen, von qualifiziertem Personal, von Materialien. Das hat sich komplett gedreht."


Bereits bei der Grobplanung sind wir gezwungen, Engpässe mitzudenken: "Wir haben gelernt, so viel wie möglich zu standardisieren. Lieber planen wir einen Schaltschrank, der ein bisschen mehr kann, als später teuer nachzurüsten. Das betrifft nicht nur die technische Seite, sondern auch die Logistik und die Projektsteuerung."


Standardisierung sei inzwischen eine Risikominimierung: "Wir definieren bewusst Komponenten, die skalierbar sind – auch wenn sie in der ersten Ausbaustufe nicht gebraucht werden. Das macht uns schneller, wenn der Bedarf kommt, und verhindert kostspielige Planungsanpassungen."

Das Umspannwerk bleibt während des Umbaus in Betrieb. Wie geht das überhaupt unter Spannung – im wahrsten Sinne?

„Unter Spannung arbeiten wir nicht – das ist ausgeschlossen und ein viel zu hohes Sicherheitsrisiko", erklärt Thomas. "Stattdessen wird im Vorfeld des Umbaus dafür gesorgt, dass das jeweilige Feld im Netzgebiet freigeschaltet ist."


Dafür müsse das Stromnetz intelligent umorganisiert werden. "Wir sprechen hier von einer kontrollierten Netzumschaltung. Das bedeutet, dass die Energieflüsse so koordinieren werden, dass während der Bauarbeiten kein Leistungsverlust eintritt und die Versorgung der angeschlossenen Verbraucher uneingeschränkt bestehen bleibt.


Dabei gehe es nicht einfach nur um das Ausschalten eines Schalters. "Vor dem eigentlichen Umbau müssen wir Ersatzanlagen bereitstellen, alle relevanten Anschlusspunkte umlegen und sicherstellen, dass sämtliche Leistungspflichten weiterhin eingehalten werden. Diese Abläufe müssen nahtlos ineinandergreifen – das ist ein hochkomplexer Vorgang."


Thomas beschreibt das Verfahren als Bau im fliegenden Wechsel: "Es gibt keinen Moment des Stillstands. Alles ist so getaktet, dass sofort weitergearbeitet werden kann, sobald ein Abschnitt spannungsfrei ist. Unser Anspruch ist: Niemand soll etwas vom Umbau merken – keine Unterbrechung, keine Beeinträchtigung, keine Unsicherheit. Vor allen Dingen steht die Arbeitssicherheit aber auch das Wohl von Leib und Leben im Mittelpunkt unserer Tätigkeit. Der Schutz der Menschen auf der Anlage hat für uns oberste Priorität."


Damit dieses Ziel erreicht wird, sei eine exakte Detailplanung unabdingbar: "Wir planen jeden Schritt detailliert vor – inklusive aller Sicherungsmaßnahmen, aller Schaltpläne, jeder logistischen Bewegung. Nur so ist gewährleistet, dass wir nicht nur sicher arbeiten, sondern auch im vorgesehenen Zeit- und Budgetrahmen bleiben."

Welche technischen Veränderungen werden umgesetzt – und was bedeutet „zukunftsfähig“ in diesem Fall?

"Das Herzstück ist der Wechsel von analoger zu digitaler Technik", so Thomas. "Die Datenübertragung läuft künftig nicht mehr über Kupferleitungen, sondern über Glasfaserleitungen. Das steigert die Datenmenge und -geschwindigkeit und ermöglicht eine höhere Datenmenge zur Netzüberwachung und -steuerung."


Zugleich sei die Modernisierung eine Antwort auf gesetzliche und ökologische Anforderungen: "Wir können mit den neuen Systemen Emissionen reduzieren und regulatorische Standards leichter einhalten. Die Digitalisierung ist in unserem Fall keine Spielerei, sondern notwendiger Bestandteil eines funktionierenden Stromnetzes."


Er betont: "Ein Umspannwerk erzeugt keinen Strom, aber es verteilt ihn – dorthin, wo er gebraucht wird. Deshalb ist der strategische Ausbau von Umspannwerken für die Netzstabilität entscheidend – heute mehr denn je."

Wo liegt heute eigentlich die größte Herausforderung bei Energieinfrastruktur-Projekten – Technik, Genehmigung, Schnittstellen?

"Es ist ein Rattenschwanz an Themen, der inzwischen zur Herausforderung wird. Technik, Personal, Genehmigungen – alles hängt zusammen."


Thomas wird deutlich: "Wir haben einen massiven Fachkräftemangel. Es hilft nichts, wenn ich die Geräte dahabe, aber keiner sie aufbauen kann. Oder ich habe Mitarbeitende, aber nichts, das sie installieren können, weil die benötigten Geräte bzw. das Material vom Lieferanten nicht produziert werden können."


Hinzu kommen infrastrukturelle und gesellschaftliche Barrieren: "Wenn Netzbetreiber sagen: Wir brauchen hier einen neuen Knotenpunkt, dann braucht man auch das passende Grundstück. Und das gehört oft Privatpersonen, die ein Umspannwerk vor ihrer Haustür ablehnen. Die Akzeptanz fehlt."


"Wir sind in Deutschland gut darin, Dinge abzulehnen, die wir schlichtweg brauchen. Alle wollen Strom – aber möglichst ohne sichtbare Infrastruktur. Die „unschönen“ Windkrafträder sind da ein weiteres Beispiel."

Wenn du ein Element des Projekts herausgreifen müssten, das besonders unterschätzt wird – welches wäre das?

"Ja, ganz klar: der Tiefbau", sagt Thomas ohne zu zögern. "Wir hatten es hier mit einem Bestandsumbau zu tun – und bei solchen Projekten lauern die größten Überraschungen nicht in der Technik, sondern im Boden."


Er berichtet, dass man auf eine Vielzahl unerwarteter Altlasten gestoßen sei: "Es waren alte Fundamente vorhanden, nicht dokumentierte Kabeltrassen mit stillgelegten Kabeln, verlegte Rohrleitungen und teilweise sogar schadstoffbelastete Materialien wie alte, öl-isolierte Kabel." Viele dieser Strukturen seien weder in den Bestandsplänen noch in den offiziellen Unterlagen verzeichnet gewesen. "Das hat unsere Zeitplanung ordentlich durcheinandergebracht, jede einzelne dieser Altlasten bedeutet: neu bewerten, eventuell Rückbau, Entsorgung – all das frisst Ressourcen und Zeit."


Thomas erklärt weiter, dass insbesondere der Tiefbau für den Kabelbau dadurch stark erschwert wurde: "Man denkt immer, Tiefbau sei Routine – Graben ausheben, Kabel legen, wieder schließen. Aber in der Realität eines Bestandsprojekts kann man nie sicher sein, was einen unter der Oberfläche erwartet."

Welche Rolle spielt dabei der Schaltschrankbau – und warum ist das für viele Kunden ein kritischer Baustein?

„Er ist einer der kritischsten Säulen im ganzen Ablauf“, so Thomas. "Der Schaltschrank ist das Rückgrat unserer Energieverteilung. Wenn die Anforderungen an Umfang, Schnittstellen oder Erweiterbarkeit nicht von Anfang an sauber geplant sind, wird der Schaltschrank schnell zum Flaschenhals im Projekt."



Er berichtet von einem konkreten Beispiel aus dem aktuellen Umbau: "Da hat ein einziges Relais gefehlt – winzig klein, aber ohne dieses Bauteil konnten wir den gesamten Schaltschrank nicht montieren. Das hat dazu geführt, dass ein kompletter Abschnitt unserer Installation neu getaktet werden musste."


Hinzu komme, dass lange Lieferzeiten einzelner Komponenten – teilweise mehrere Wochen – die Planung zusätzlich erschweren. "Deshalb setzen wir auf frühzeitige Bestellung. "Der Schaltschrank ist das Steuerzentrum des gesamten Systems. Hier laufen alle Fäden zusammen – und wenn er nicht funktioniert, steht alles still."

Inwiefern ist dieser Umbau auch ein Beitrag zur Energiewende?

"Ganz konkret", betont Thomas . "Nach heutigem Konzept werden zusätzliche Möglichkeiten für Einspeisefelder eingeplant. Je nach Bedarf in der Netzplanung /-führung wird auch ein zusätzlicher Trafo mitgeplant und realisiert. Dieser ist technisch darauf ausgelegt, sogenannte Großeinspeiser direkt über das Umspannwerk ans Netz anzubinden."

Großeinspeiser – damit meint er Photovoltaik-Parks, Windkraftanlagen oder Biogasanlagen mit Leistungen ab etwa 12 MVA.


"Diese Maßnahmen sind notwendig, um auf den höheren Energiebedarf vorbereitet zu sein. Das hat in diesem Fall enorme Auswirkungen auf die Auslegung unserer Infrastruktur.“



Thomas macht klar, dass diese Projekte einen direkten Beitrag zur Energiewende leisten: "Die Integration regenerativer Energiequellen wird dadurch nicht nur technisch einfacher, sondern auch wirtschaftlich sinnvoller. Wir sorgen dafür, dass Netze diese Einspeiser nicht als Belastung empfinden, sondern als Teil eines neuen, robusteren Gesamtsystems."

Er fasst zusammen: "Die Netzstruktur muss dichter werden, kleinteiliger, flexibler. Nur so können wir Versorgungssicherheit auch bei wachsendem Bedarf und zunehmender Volatilität garantieren."

Und zuletzt: Was möchtest du Unternehmen mitgeben, die vor einer vergleichbaren Modernisierung stehen?

"Binden Sie die Leute ein, die später in der Umsetzung stecken – und das so früh wie möglich", rät Thomas mit Nachdruck. "Gerade in der Phase der Machbarkeitsstudien oder beim ersten Grobkonzept werden oft Entscheidungen getroffen, die massive Auswirkungen auf die spätere Ausführung haben. Wenn an dieser Stelle noch niemand aus der Abwicklung eingebunden ist, fehlen wertvolle Perspektiven."


Viele technische oder praktische Herausforderungen könnten aus seiner Sicht bereits in der frühen Phase entschärft werden:

"Es geht nicht darum, alles im Detail vorwegzunehmen. Aber es hilft enorm, wenn jemand frühzeitig darauf hinweist: 'Achtet hier auf die Platzverhältnisse', oder 'Dieser Schranktyp ist in sechs Wochen nicht lieferbar'. Das spart nicht nur Kosten, sondern verhindert Verzögerungen und Planungschaos."


"Es ist ein Unterschied, ob eine Anlage auf dem Papier funktioniert oder ob sie sich auch tatsächlich effizient und unter den gegebenen Bedingungen umsetzen lässt. Deshalb ist der frühe Einbezug von Umsetzungsexpertise kein Mehraufwand – er ist Voraussetzung für Projekterfolg."